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Cuneiform Artefacts of Iraq in Context (CAIC) - Keilschriftartefakte Mesopotamiens

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Die Arbeit vor Ort: Tontafeln unter dem Mikroskop

Anmar A. Fadhil und Carmen Gütschow

Tontafeln müssen richtig konserviert und gelagert werden, um sich nicht stetig zu zersetzen. Das betrifft sowohl die ungebrannten als auch die gebrannten Objekte - in allen Sammlungen der Welt. Auch im Irak-Museum gibt es hier sehr viel zu tun.

Ein Jahrhundertfund als Fallbeispiel

Als Keilschriftspezialist und Tontafelrestauratorin arbeiten wir aktuell in Bagdad an den Tafeln aus der Tempelbibliothek der alten Stadt Sippar. 1985/86 brachte die 8. Grabungskampagne der Universität Bagdad einen spektakulären Fund ans Licht: Eine Sammlung von mehr als 300 Keilschrifttafeln und weiters zahlreichen Bruchstücken wurde in jenen Wandregalen gefunden, in denen sie im ersten vorchristlichen Jahrtausend aufbewahrt worden waren. Benjamin R. Foster von der Yale Universität beschrieb dies damals in der Washington Post als „the kind of discovery that one waits 100 years to see.” Diese Tafeln schließen Lücken in der Rekonstruktion einiger der wichtigsten Texte der babylonischen Literatur, zum Beispiel der Flutgeschichte.

Schnell begannen irakische Forscher (darunter auch Anmars Vater Abdullilah Fadhil) mit der Publikation dieses Schatzes, aber die Kriege ab 1991 verhinderten eine kontinuierliche Arbeit. Heute, fast 40 Jahre nach ihrer Entdeckung, ist nicht einmal ein Zehntel der Tafeln veröffentlicht. Nach ihrer Ausgrabung konnten viele nur provisorisch konserviert werden. Aufzeichnungen zu den damaligen Restaurierungsmaßnahmen gibt es nicht mehr, und so lässt sich nicht sicher sagen, ob die Tafeln nach dem Brennen (damals eine übliche Vorgehensweise) auch einer Entsalzung unterzogen wurden. Nach heutiger Einschätzung scheint dies nicht der Fall gewesen zu sein, und dieser Umstand ist wahrscheinlich die Hauptursache dafür, dass sich der Erhaltungszustand oft stark verschlechtert hat. An einer ungebrannten Tafel kann man das massive Wachstum von Salzkristallen beobachten, die aus dem Inneren in unzähligen kleinen Erhebungen auf die gesamte Oberfläche durchbrechen und so die Lesbarkeit der Keilschrift drastisch beeinträchtigen.

Durch Salzschäden sind viele Tafeln in Fragmente zerfallen. Bei anderen platzt die Oberfläche in Schuppen oder als Pulver ab, wodurch nach und nach die Substanz verloren geht. Die Keile, aus denen sich die Schriftzeichen zusammensetzen, sind oft nur 1-2 mm tief, und so bedeutet der Verlust der Oberfläche immer auch einen Verlust der Schriftinformation. Im schlimmsten Fall bleibt nur ein Tonklumpen zurück.

Keil für Keil zu neuen Erkenntnissen

Was tun? Tontafeln sind Objekte, die zur philologischen Bearbeitung immer wieder in die Hand genommen werden müssen. Dafür stellen Konservierung und Restaurierung die entsprechende Stabilität her. Die Oberfläche muss meistens gefestigt werden, manche benötigen auch Ergänzungen, um die Stabilität von Fehlstellen auszugleichen - immer, ohne die Keilschrift zu beeinträchtigen: der zu dicke Auftrag von Klebstoffen kann etwa zu unerwünschtem Glanz führen oder Keile unleserlich machen.

Zentral für unsere neue Restaurierung der Tafeln ist die Überprüfung des Reinigungsgrads der Keilschrift. Bei praktisch jeder Tafel ist eine Verbesserung der Lesbarkeit zu erreichen, wenn sie sorgfältig, Keil für Keil, gereinigt wird. In der Vergangenheit bürstete man Tafeln einfach ab, wodurch allerdings nicht alle Verschmutzungen entfernt werden konnten. In vielen Fällen sind Keile unvollständig freigelegt oder ganze Passagen noch vollständig von Erde verdeckt. Unter dem Mikroskop sind die Unterschiede zwischen dem Ton der Tafel und solchen Auflagen aus Lehm und Sand gut erkennbar, und mit spitzen Skalpellen, Nadeln und Pinseln ist eine präzise Reinigung möglich. Auf diese Weise können undeutliche Textpassagen in ihrer Lesbarkeit stark verbessert werden, und manchmal kommen auch ganze Zeilen neu zutage. Solche Entdeckungen versüßen uns den großen Arbeitsaufwand!

Packen wir’s ein

Es geht aber auch um scheinbar ganz simple Dinge. Ein zentraler Punkt der präventiven Konservierung ist die Verpackung und Lagerung der Tafeln. Im Idealfall liegt jede Tafel gut geschützt in ihrer eigenen, stabilen Schachtel im richtigen Format. Im Irak-Museum sind die meisten Tafeln derzeit noch in recht dünnen Kartons verpackt, von denen manche schon eingerissen sind. In manchen Fällen hat dies bereits zu Bruchschäden geführt, denn durch die mangelnde Schutzfunktion kann es bei jeder Bewegung zu neuen Schäden kommen. Manche Schachteln sind zu klein für die Tafeln, die so leicht beschädigt werden, wenn Teile herausragen. In anderen Fällen liegen mehrere Fragmente zusammen in einer Box und stoßen und reiben aneinander, wenn sie herumrollen. Einige Schachteln sind mit etwas Watte ausgepolstert, aber auch das ist problematisch. Einerseits ist diese inzwischen verschmutzt, aber vor allem unterstützt dieses hygroskopische Material bei feuchter Atmosphäre die gefährlichen Aktivitäten des Salzes und außerdem auch Schimmelbefall. Deshalb verpacken wir die Tafeln in stabile und säurefreie Boxen, die mit Matten aus Polyethylschaum, einem nicht-hygroskopischen Material, ausgekleidet sind und eine stabile Lage der Tontafel garantieren.

Im Rahmen des CAIC-Projekts haben wir uns viel vorgenommen. Als Tontafelrestauratorin wird sich Carmen in regelmäßigen Aufenthalten in Bagdad durch die etwa hunderttausend Tontafeln und Fragmente des Irak-Museums hindurch arbeiten und viele davon selbst konservieren, aber vor allem zwei Museumsmitarbeiter*innen ausbilden, denn diese große Aufgabe muss in der Hauptsache von irakischen Spezialist*innen vor Ort bewältigt werden.

Digitale Aufnahmen für heute und morgen

Nur wenige Tafeln im Irak-Museum wurden bisher digital fotografiert. In einem jungen Fach wie der Assyriologie, in dem die ersten Tontafeln erst vor knapp anderthalb Jahrhunderten ausgegraben wurden, ist die langfristige Dokumentation des Materials noch immer eine Herausforderung. Moderne Restauratoren halten die von ihren früheren Kollegen gewählten Lösungen heute oft für unangemessen. Das Brennen der Tafeln, das einst die universelle Methode zu ihrer Erhaltung war, gilt heute als invasiv und nicht notwendig. So wie sich alte Konservierungsansätze als falsch erwiesen haben, ist es wahrscheinlich, dass auch einige zeitgenössische Ideen in Zukunft kritisch gesehen werden. Deshalb hat sich das CAIC-Projekt zum Ziel gesetzt, die Tontafeln umfassend fotografisch zu dokumentieren. Dieses Fotomaterial wird von künftigen Generationen in der gleichen Weise verwendet werden, wie wir heute jede alte Fotografie nutzen, welche die Tafeln noch in einem besseren physischen Zustand abbildet.

Unsere fotografische Dokumentation hat also ein doppeltes Ziel: Sie dient uns heute in der editorischen Bearbeitung in München als Arbeitsmaterial und soll ein allen leicht zugängliches Abbild der Tafeln für die Zukunft bewahren. Um beidem gerecht zu werden, versucht unsere Strategie Schnelligkeit und Langlebigkeit in Einklang zu bringen und so viele Informationen wie möglich in Dateien mit überschaubarer Größe zu sammeln. Für jede Tafel werden zwei digitale Bildersets erstellt: einerseits in High Dynamic Range (HDR), was aktuell die beste Methode ist, um hervorragend lesbare, leicht weiterzugebende Fotos zu erhalten, und andererseits in Reflectance Transformation Imaging (RTI), was die spätere virtuelle Beleuchtung des Objektes ermöglicht und besonders geeignet ist, wenn es - wie immer bei der Keilschrift - Unterschiede in der Tiefe der Oberfläche gibt. Wir experimentieren außerdem mit 3D-Bildgebung.

Moderne Forschungsansätze, die sich auf die physischen Aspekte von Dokumenten konzentrieren, haben das reiche Material aus dem Irak-Museum bisher weitgehend ignorieren müssen. Mit dem fortschreitenden Fotografieren der Tafeln und ihrer Bereitstellung online soll sich das möglichst bald ändern. Zur Zeit wird im Museum ein eigenes Fotostudio eingerichtet, damit die Arbeit im Rahmen von CAIC zügig vorangehen kann.